Eine Bühne für Geldkonflikte

Ein Erfahrungsbericht zum Forumtheater im Rahmen des DialogRaumGeld-Konvents 2022 in Augsburg. 

Holger Kreft, Nina Roob

Nina Roob ist Kulturwissenschaftlerin M.A. und Theaterpädagogin BuT. Sie ist 1989 in Herrenberg (BW) geboren und arbeitet an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg als Ausbilderin für Simulationspatient:innen sowie in Nebentätigkeit in mehreren theaterpädagogischen und künstlerischen Projekten.

Einladung zum Forumtheater im ersten öffentlichen Konvent im Projekt DialogRaumGeld (Foto: Leo Schenk)

Geldkonflikte erlebbar machen

„Wieso bekomme ich kein Geld zu meinem Geburtstag, obwohl wir das in der Familie doch immer gegenseitig so machen? Ich will die üblichen 50 Euro!“, fordert das Geburtstagskind trotzig. „Wir dachten wir schenken dir mal etwas, das nicht mit Geld, sondern mit gemeinsamer Zeit zu tun hat“, erwidert die Tante über die selbstgebastelte Geburtstagskarte. „Ihr seid ja das Letzte, brecht die Vereinbarung…“, wirft der Vater des Geburtstagskindes wütend ein, als eine Frauenstimme plötzlich „Stopp!“, ruft. Es wird deutlich: Wir befinden uns in einer fiktiven Szene. Eine Frau aus dem Publikum hat das Schauspiel angehalten, um nun selbst auf der Bühne die Rolle der Tante einzunehmen. Das Publikum und auch die Darstellenden der anderen Beteiligten erleben nun ihren Versuch einer alternativen Handlungsoption, um den Konflikt um das unerwartete Geburtstagsgeschenk zu entschärfen.

Das ist „Forumtheater“! Der hier beschriebene theatrale Erfahrungsraum basiert u.a. auf der Arbeit des brasilianischen Theatermachers Augusto Boal. Dabei wird eine persönlich erlebte Konfliktsituation in einer kurzen Theaterszene nachgespielt und wiederholt, bis eine Person aus dem Publikum eingreift und mit einer alternativen Handlungsidee zur möglichen Lösung des Konflikts den Platz einer beteiligten Person in der Szene einnimmt. Die gesammelten „Rezepte“ zur Lösung des Konflikts können die Betroffenen gemeinsam reflektieren und vielleicht sogar später in ähnlich auftretenden Realsituationen anwenden.

Diese Wirkkraft des Forumtheaters wollten wir daher unbedingt im Rahmen des ersten öffentlichen Konvents des DialogRaumGeld *) im Mai 2022 in Augsburg als Methode erlebbar machen. Begleitet haben uns bei unserer Arbeit die folgenden Fragen:

1. Können wir mit Forumtheater ausschließlich Konfliktlösungspotenziale auf einer zwischenmenschlichen Ebene aufdecken?

2. Inwiefern lassen sich dadurch auch – auf struktureller Ebene – Reibungsflächen unseres herrschenden Geldsystems offenlegen und wie können wir unsere Erkenntnisse aktiv für eine Veränderung dieses Systems nutzen?

*) Der DialogRaumGeld ist ein zzt. lockeres Netzwerk von Menschen, die sich für einen Wandel des Geldwesens engagieren. Er ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins Oeconomia Augustana, der sich für eine neue dialogorientierte Kultur einsetzt und das Geld als Hilfsmittel aktiv gestalten will, um auf diese Weise zu einer gesellschaftlichen Transformation beizutragen. Seit 2021 stehen im Dialograum mehrere Strömungen mit unterschiedlicher Reformtiefe im Austausch. Im Mai 2022 veranstaltete der DialogRaumGeld seinen ersten öffentlichen Konvent im Kongress am Park in Augsburg.

Mehrere Phasen der Vorbereitung

Damit die Abendveranstaltung mit dem Forumtheater und einer gespielten Szene allerdings in der gezeigten Art und Weise ablaufen konnte, war eine mehrstufige Vorbereitung notwendig: Eine fünfköpfige Forumtheater-AG plante in mehreren Online-Treffen die Abendveranstaltung für alle Konventbesucher:innen. Obwohl wir in ganz Deutschland verteilt waren, gelang es uns, eigene Geschichten in Szenen zu verwandeln, in Videotreffen zu spielen und im digitalen Forumtheater zu verändern, d.h. durch neue Handlungsideen den Ausgang der Szene zu beeinflussen. Trotz der Digitalität spürten wir das empowernde Potenzial, das in dieser Methode steckt.

Nina Roob erläutert Oliver Sachs den geplanten Ablauf des Workshops beim Konvent des DialogRaumGeld (Foto: Leo Schenk)

Gleichzeitig wurde uns bewusst, dass wir für die Abendveranstaltung beim Konvent einen zusätzlichen Schritt einführen mussten: Es brauchte einen vorbereitenden Workshop, in dem einzelne interessierte Kongressteilnehmende von persönlichen Erfahrungen erzählten, in denen sie durch Geld unangenehm berührt oder gar verletzt worden waren und die sie in einer kurzen Szene schauspielerisch darstellten. Wir luden dafür Menschen ein, die Lust am Theaterspielen und Lampenfieber mitbringen, und die bereit waren, auf der Bühne in eine bestimmte Rolle hineinzuschlüpfen.

Spielfreude beim Aufwärmen mit dem Oma-Löwe-Samurai-Spiel im Vorbereitungsworkshop (Foto: Leo Schenk)
Die Laienschauspieler:innen proben eine Konfliktszene für die Abendveranstaltung (Foto: Leo Schenk)

Die sehr gute Nachricht: Die Einladung wurde angenommen! Ein Dutzend Menschen teilte im Workshop ihre Geschichten und entschied sich gemeinsam dafür, zwei davon in Schauspielszenen zu verwandeln, die sie als Darsteller:innen auch selbst spielten.

So gestalteten wir für das Publikum einen interaktiven Theaterabend, bei dem wir das Geld als „Schmerzpunkt“ in individuellen Konflikten sichtbar machen konnten. In einer abschließenden Reflexion zogen wir gemeinsam mit dem Publikum erste erkenntnisreiche Schlüsse, auch solche hinsichtlich struktureller Veränderungsmöglichkeiten unseres Geldsystems.

Chancen und Grenzen des Forumtheaters

„Ich fand es spannend, was durch eine kleine Veränderung alles anders ablaufen kann… und welche gut gemeinten Ansätze dann dennoch scheitern“, lautete ein O-Ton aus dem Publikum. Auf unterschiedlichen Wegen erreichte uns nach der Abendveranstaltung viel Zustimmung zur Methode und zu unserem Vorgehen. Insbesondere die Konkretheit und die Emotionalität des Ansatzes wurden sehr geschätzt. Durch das vielseitige Feedback sowie durch unsere eigenen Erfahrungen ergaben sich Chancen, aber auch Grenzen in Bezug auf die Methode des Forumtheaters:

Die größte Chance besteht wohl in der Möglichkeit, selbst an der Szene mitzuwirken und damit einen sozialen Vorgang zu gestalten. Das Publikum muss nicht hinnehmen, was es sieht, es wird aktiv, erfährt am eigenen Leib das Problem und auch das Gefühl, wenn ein Handlungsansatz Erfolg bzw. Misserfolg bringt. Durch das Hineinschlüpfen in eine andere Rolle wird zudem ein Perspektivwechsel ermöglicht, der zum Verständnis der anderen Position und damit auch des rahmengebenden Konfliktkerns beiträgt. Dadurch wird für die Beteiligten ein zusätzlicher Handlungsspielraum erkennbar, den sie über den geschützten Rahmen der Szene hinaus auch in ihrem Alltag nutzen können.

Auch dem Austausch mit dem Publikum nach den gespielten Szenen fällt eine maßgebliche Bedeutung zu. Hier öffnet sich der Raum für die Frage, inwiefern wir aus einem individuellen Konflikt auch strukturelle Lösungsansätze für unser vorherrschendes (Geld-)System ableiten können: Was müssten wir in unserer Gesellschaft ändern, um die dargestellten Konflikte auf persönlicher Ebene zu entschärfen? In der Diskussion mit dem Publikum werden Ideen gesammelt, die perspektivisch zu grundlegenden Veränderungen der Verhältnisse führen können. Kann also das Forumtheater gar ein Motor für Veränderungsprozesse sein?

Um das zu beurteilen, müssen wir auch die Grenzen der Methode beachten, die vor allem in Bezug auf die Thematik „Geld“ zu finden ist: Die Problematik des bestehenden Geldwesens allein in einer Forumtheater-Szene abzubilden, ist grundlegend nicht möglich. Denn für das Forumtheater brauchen wir immer einen konkreten zwischenmenschlichen Beziehungskonflikt. Das Forumtheater ist auf antagonistisch agierende Menschen angewiesen: Es bedarf einer Figur, die den Protagonisten oder die Protagonistin benachteiligt, unterdrückt und physisch und/oder psychisch verletzt. Allerdings stecken hinter Beziehungskonflikten vielschichtige Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten. Angesichts dieser Vielschichtigkeit drohen die Strukturen unseres Geldsystems, die den Konflikt mitverursachen oder zumindest fördern, oft in den Hintergrund zu treten.

Doch für eben diese Strukturen interessieren wir uns auch. Es eröffnen sich wiederum einige Fragen:

  • Wie viel Handlungsspielraum erkennt der/die Protagonist:in, aber auch der/die Antagonist:in, eigentlich selbst innerhalb des gegebenen Rahmens, und kann und will er/sie ihn auch nutzen, um nicht einen anderen Menschen zu unterdrücken bzw. zu verletzen?
  • Welche Verantwortung tragen wir einzelnen Menschen darüber hinaus für den umfassenden Wandel, was lässt sich jetzt gleich von mir durch meine Entscheidungen verändern?
  • Und welche strukturellen Veränderungen müsste ich – gemeinsam mit anderen Menschen – zusätzlich in Angriff nehmen, wozu es aber zunächst auch meine ganz individuellen Entscheidungen braucht?
In der Abendveranstaltung steht der Konflikt in einer anderen Spielszene kurz vor einer möglichen Lösung (Foto: Leo Schenk)

Für uns zeigt sich immer deutlicher, dass das Forumtheater auf der Ebene des individuellen Verhaltens helfen kann, (Macht-)Verhältnisse und Handlungsspielraum innerhalb des bestehenden Systems zu veranschaulichen. Durch die anschließenden Reflexionen mit dem Publikum kann es vermutlich auch noch für strukturelle Veränderungen sensibilisieren, doch vermag es auch darüber hinaus den Weg zu öffnen für grundlegende systemische Veränderungen?

Dazu sind wir auf eine ebenfalls von Augusto Boal entwickelte Fortführung des Forumtheaters gestoßen – das sogenannte „Legislative Theater“: Wenn zu einem Forumtheater gezielt Entscheider:innen der relevanten Ebenen (vor allem aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft) eingeladen werden, können sich diese für ihre künftigen Entscheidungen sensibilisieren lassen. Ihre Entscheidungen setzen strukturelle Rahmenbedingungen für viele bis sehr viele Menschen. Das direkte Verhandeln der Probleme kann und soll die Verantwortlichen betroffen machen und ihnen vermitteln, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen auf Menschen haben können. Auch Auswirkungen auf die Umwelt, die wiederum auf Menschen einwirken, können indirekt zum Ausdruck kommen. Diejenigen, die das Forumtheater anleiten, können dafür sorgen, dass die im Spiel gefundenen Änderungspotenziale schriftlich dokumentiert werden. Im besten Fall lassen sich daraus Gesetzesänderungen bzw. -verordnungen entwickeln oder Geschäftsmodelle von Unternehmen verändern. Politisch erfolgreich war dieses Konzept bereits mehrfach, wie bspw. bei der Vorbereitung des Tiroler Teilhabegesetzes von 2017. Welche weiteren Methoden und Formate eignen sich dazu, Entscheider:innen zu involvieren, zu sensibilisieren und betroffen zu machen, um auf diese Weise die notwendigen Impulse in die Gesetzgebung und in die Wirtschaft zu tragen?

Unser Fazit ist: Die Darstellung individueller Geldkonflikte macht betroffen und zugleich handlungsfähig. Daher bietet sie die Möglichkeit, wenn Entscheidungsträger:innen (z.B. Abgeordnete, die Gesetze verabschieden, Ministerialbeamt:innen, die Verordnungen konkretisieren, Lobbyist:innen, die Einfluss nehmen wollen oder auch Unternehmer:innen, die große Investitionen tätigen) anwesend sind, sie für Bedarfe, Konflikte und Handlungsoptionen zu sensibilisieren. Kurz: Das im Forumtheater Erlebte berührt. Das Forumtheater birgt also ein erhebliches Potenzial für Veränderung, und wir können damit einen Weg bahnen, der von der Bearbeitung individueller Konflikte zu nachhaltigen, strukturellen Veränderungen führt. Ob und wie dies in Bezug auf das Thema Geld möglich ist, wollen wir in den nächsten Monaten genauer herausfinden. Wir sehen darin eine Erkundungs- und Entwicklungsaufgabe, die zum Leitmotiv unserer Forschungsreise geworden ist.

Ein erstaunlicher Multiplikationseffekt

Die Einbindung des Forumtheaters hat den Konvent sehr bereichert. Am Schluss ermutigt uns besonders, dass wir vom ersten Treffen für unsere Theaterarbeit bis über die Aufführung hinaus den ursprünglichen Ausgangsimpuls enorm vervielfältigen konnten. Ganz konkret: Vermittelt über Oliver Sachs hatten und haben wir mit Nina Roob die einzige Expertin für Forumtheater in unseren Reihen. Sie konnte uns als weitere vier Mitwirkende gewinnen und anleiten. Wir als Gruppe haben in dem Vorbereitungsworkshop im Konvent wiederum etwa die vierfache Anzahl von Menschen in die Forumstheaterwelt hineingezogen. Die Abendveranstaltung erreichte ihrerseits rund 40 Zuschauer:innen, die wir mit dieser Erfahrung in ihre Alltagswelten entlassen konnten. Wie schnell die Ausbreitung und Vermittlung einer mitreißenden Idee gehen kann, macht uns Mut und gibt Antrieb, an diesem Ansatz festzuhalten.

Weiterführende Information

Christine Baur (2017): Tiroler Teilhabegesetz – Land Tirol fördert gesellschaftliche Partizipation von Menschen mit Behinderungen. online-Artikel vom 25.11.2017, zuletzt abgerufen am 16.10.2022: https://www.tirol.gv.at/meldungen/meldung/tiroler-teilhabegesetz/ – Christine Baur war Soziallandesrätin (Landesministerin für Soziales) des Landes Tirol.

Nina Roob, die Koautorin dieses Artikels, ist Kulturwissenschaftlerin, M.A. und Theaterpädagogin BuT. Sie ist 1989 in Herrenberg (BW) geboren und hat in Mainz und Wien Theater- und Erziehungswissenschaften studiert. Nach erfolgtem Abschluss verschlug es sie ins Saarland, um in Saarbrücken ihren Master in Angewandte Kulturwissenschaften zu machen. 2020 schloss sie die Ausbildung zur Theaterpädagogin an der Theaterwerkstatt Heidelberg ab und arbeitet seitdem an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg als Ausbilderin für Simulationspatient:innen sowie in Nebentätigkeit in mehreren theaterpädagogischen und künstlerischen Projekten.